Oktonier:innen

Albarro Nabeja

Ich fragte Albarro, woran er gerade denke. „Nada“. Einfach nichts. Er habe mit der Vor-Sich-Hin-Denkerei vor fast 4 Jahren aufgehört. Jetzt schaue er einfach so aus den Augen raus. Irgendwas gäbe es ja immer zu kucken. Man müsse deswegen ja nicht gleich ins Grübeln verfallen.

Andra Enaesta

Andra liebt es grau.

„Nunka enkontrarass griskolór en un irisarko“, sagt die oktonische Produktgestalterin. Ihre schlichte, ornamentfreie Kleidung sticht in der Buntheit Oktoniens hervor, und viele Blicke folgen ihr auf der Straße.

In ihrer Arbeit berät Andra ihre Kunden bei der Farb-, Form- und Ornamentwahl ihrer Produkte, die anschließend ausgedruckt werden. Dabei legt sie großen Wert darauf, ihre Kunden nicht durch ihren eigenen Stil zu beeinflussen. Neutralität ist für sie ein hohes Gut. Ihr Ziel ist es, anderen zu helfen, ihre eigene Identität zum Ausdruck zu bringen.

Doch ihre eigene Identität bleibt unübersehbar.

„Teng sufizent kolór enmi kapez, no nesesit usarlo“, erklärt sie mit einem schmalen Lächeln. Sie habe genügend Farben in ihrem Kopf – sie müsse sie nicht auch noch nach außen tragen.

Anha Beloz-Elmedez

„Si kerres ensener, neccesit aprenter“, wer lehren will muss lernen, sagt mir Anha Beloz-Elmedez. Um den Kindern, die sie betreut, ein gutes Vorbild zu sein, studiert sie nebenher Physik und Angewandte Urbanistik. Den Oktoniern ist es wichtig, dass auch kommende Generationen gut gebildet sind. Pädagogische Berufe genießen hier höchsten Respekt, egal ob in der Kita oder im Hörsaal.

Anma und Jóan

An den Stränden Oktoniens lernt man viele Leute kennen. Hier sind Anma und Jóan, die gemeinsam einen kleinen, aber feinen Schuhladen betreiben und seit 6 Jahren ein Paar sind. „Insepirablá commo una paraj de zapeton“, sagt Jóan. Unzertrennbar wie ein Paar Schuhe. Eine schöne Redewendung!

Arine Salasora Brogasa

Schon in der Schulzeit fotografierte die ­Oktonierin aus Galdapa del Pinelore für die Schülerzeitung und bald auch für lokale Medien. Sie studierte Reportagefotografie an der „Akademie des Artes de Oktonia“, der oktonischen Kunstakademie, und machte sich einen Namen mit Porträts einer großen Bandbreite von Oktoniern – von einfachen Arbeitern bis zu prominenten Persönlichkeiten. Für Arine zählt die individuelle Begegnung mehr als jeder stilistische Rahmen. Sie nimmt sich viel Zeit, um ein Vertrauensverhältnis zu ihren Porträtierten aufzubauen.

Carmalla Sangalyo

Sie schafft es, jeden losen Haufen zufälliger Menschen in eine Phalanx koordinierten Wollens zu verwandeln. ist geborene Managerin, sie behält stets alles im Blick und kann die Ruhe bewahren. Einst sanierte und leitete sie die Oktgeotherm, den größten oktonischen Energieproduzent. Doch als sie den Laden wieder auf die Beine gestellt hatte, zog es sie weiter.

Heute leitet sie ein Familienzentrum in einer mittelgroßen Stadt im Westen der Insel. Sie ist glücklich, aber. Sie überlegt schon, wo sie als nächstes für Ordnung sorgen kann.

Dora Asemwald

Botschafterin von Oktonien.
Geboren in Stuttgart, Deutschland. Im Alter von 49 Jahren nach Oktonien ausgewandert. Sie ist die Brücke über den Horizont Oktoniens in den Rest der Welt.

Emalo Marago

Emalo Marago zählt zu den beliebtesten Autorens Oktoniens.
Sein aktuelles Buch „Roman – Lo ultime ke keda“ ist ein Reisebericht aus einer vom Klimawandel verwüsteten Welt jenseits des oktonischen Horizonts. Der Protagonist, ein transhumaner Oktonier mit übermenschlicher Resilienz und erweitertem Bewusstsein, folgt den Spuren des menschlichen Scheiterns.

Doch während er durch die Trümmer der alten Welt wandert, stößt er auf etwas, das sich weder optimieren noch überwinden lässt: seine eigene, zutiefst menschliche Natur.

Was als Analyse beginnt, endet als schmerzhafte Liebeserklärung – an die Menschheit, mit all ihren Schwächen, Widersprüchen und leuchtenden Momenten.

Franzisko Gutuaras

Oktonien ist uns in Sachen Baustoffen und -techniken weit überlegen. Extrem leichte, günstige und stabile Materialien werden hier von Drohnen vor Ort sozusagen 3D-gedruckt. Dies ermöglicht nicht nur die unkomplizierte Gestaltung aller möglichen freien Formen (und Farben!) und sehr kurze Bauzeiten, sondern auch eine rasend schnelle Zupflasterung mit dekorativen Bauwerken des Landes.

Die Spezialität von Franzisko sind Bauwerke an den Küsten des Landes. Alles von kleinen Strandhäuschen, in denen Oktonier eine Nacht am Meer verbringen können, bis zu größeren Anlagen wie zum Beispiel Oktonarien.

Jabal Menaja

Jabal begann seinen Weg mit einer Ausbildung in Modedesign, wechselte dann aber zur Fotografie, wo er heute beide Felder verbindet. Viele der Kleidungsstücke auf seinen Bildern stammen aus eigenen Entwürfen.

Er lebt in einer kleinen Siedlung in karger vulkanischer Landschaft und schätzt die Ruhe dort, um seinen gewaltigen Bildwelten mehr Raum in seinem Kopf geben zu können. Seine Arbeiten sind hochgradig konstruiert, bis ins kleinste Detail durchdacht und selbst im oktonischen Kontext von einer fast übersteigerten Surrealität. Seine fotografischen und digitalen Kompositionen zeigen Oktonien als artifizielle Bühne, in der Mensch, Mode und Architektur zu einem Gesamtwerk verschmelzen.

Jorgo Alvanzo

Jorgo Alvanzo ist freier Szenograf und arbeitet für viele renomierten Theater in Oktonia. Und davon gibt es sehr viele. Oktonier verstehen nicht so ganz, warum man etwas auf einem Bildschirm anschauen muss, wenn man auch live dabei sein kann. Und wenn sie schon fernsehen, dann gemeinsam mit anderen an öffentlichen Plätzen.

Zwischen zwei Projekten hat Jorgo gerade 2 Monate frei und läuft durchs Land um sich Inspiration zu holen. Wir sind ihm in den etwas überlaufenen Jartins de Polgalupes begegnet. Er empfahl uns, die Westküste hochzulaufen. Dort gäbe es noch viel zu entdecken. Oktonier machen ihre Urlaube meist zu Fuß. Es gibt genügend Unterkünfte an jeder Ecke und man lernt interessante Reisende kennen. Wie ihn.

Josáo Mirindes

Ein glücklicher Kunde von Ralph und Sabine Schmohl. Der Poolbot reinigte nicht nur Josáos Pool in einer halben Stunde, er fand auch seine verlorengeglaubte Sonnenbrille wieder.

Juom Perdanya

Juom freut sich auf seinen neuen Job, für den er sich gerade ausbilden lässt. „Demasat pantall, pok gent“, zu viel Bildschirm, zu wenig Menschen – das war, was ihn früher störte. Er ist ganz froh, dass jetzt eine KI-Software die Finanzplanung in seinem ehemaligen Unternehmen macht. Bald wird er Exkursionen mit Jugendlichen in die wilde Landschaft Oktoniens machen und so seine Leidenschaft für die Natur mit einer sinnstiftenden Arbeit verbinden. „Une buen oportunitad para krecer“, eine gute Chance zu wachsen.

Laña Gutarras-Olivanda

Laña fragt sich, ob das oktonische Gefühl für Freiheit und der daraus hervorgehende Frieden und Wohlstand es wert sind, wahre Freiheit nie erlangen zu können. „Oktonia tes devorra mes rapit deloque tes dass kuènta“, sagt sie zu mir, „so schön es hier ist, das echte Leben wirst du hier nie finden.“

Manchmal verflucht Laña ihren sezierenden Blick, der die Welt in all ihre Ebenen zerteilt, jedes Muster erkennt, jede Ungereimtheit, jeden Widerspruch, der jeden Sinn zur Sinnlosigkeit zerpflückt. Sie wünscht sich manchmal, einfach wieder entkennen zu können. Sich in den Fluss der Menschen zu werfen und an den Stränden des Lebens entlangzugleiten. In all ihrer oktonischen Eleganz.

Lisa Erikson

Nachdem die Yacht ihrer schwedischen Eltern im Atlantik havariert war, wurde Lisa an einem oktonischen Strand angespült. Sie erinnert sich daran, wie oktopusartige Tiere sie vor dem Ertrinken retteten und ans Land brachten. Das kleine Mädchen wuchs anschließend in einer oktonischen Familie auf. Dank der Erfahrung ihrer Rettung empfindet sie bis heute eine tiefe Faszination für das Meer und seine Bewohner. 

Heute ist sie leidenschaftliche Taucherin und Fotografin. Sie hat Meeresbiologie studiert und arbeitet am oktonischen Institut für Meeresbiologie. Ihre Unterwasseraufnahmen sind weit über wissenschaftliche Kreise hinaus bekannt und werden regelmäßig ausgestellt.

Marina Milatra

Vor kurzem habe ich Marina kennengelernt. Sie erzählte mir, dass sie Rennfahrerin sei. In einem Land, wo Autos eher dekorativer Natur sind und meist in Schrittgeschwindigkeit dahingleiten – sie teilen sich die Straßen mit allen anderen Verkehrsteilnehmern – schien mir das ungewöhnlich zu sein.

Sie erzählte mir, dass Autorennen ursprünglich von der strauchelnden Autoindustrie eingeführt wurden, um den Oktoniern Lust auf große Motoren zu machen. Das klappte; aber ganz anders als geplant: Auf den Rennstrecken Oktoniens zählt elegante Fahrweise. Stil statt PS. Oktonier lieben den Motorsport, sie halten sogar die liebevoll dekorierten Rennstrecken für Autos frei.

Naotaka Khoryo

“Hier hört die Welt auf zu sein und beginnt zu werden,” sagt Naotaka Khoryo, der Kartograph des Unfassbaren. Sein Versuch, die unsichtbaren Ströme und Kräfte der Realität zu kartographieren, führte ihn in Tiefen, denen niemand folgen konnte. Dort fand er Oktonia.

“Das Absolute verliert hier seine Bedeutung, Dualitäten lösen sich auf.”

Was für Oktonier selbstverständlich ist, bleibt uns Zugewanderten ein Rätsel – doch im Versuch, es zu lernen, entdecken wir uns selbst.

“Ich suchte Antworten,” sagt er, “doch lerne ich, Fragen neu zu stellen. Ich suchte die Wahrheit, aber finde Möglichkeiten.”

Oktonia kann man nicht begreifen – nur erfahren. Es ist ein Ort des Werdens, ein lebendiger Prozess, der nie zu einer Karte führt. Naotaka und ich teilen den Wunsch, uns in diesen Fluss zu werfen, die Veränderung einzuladen. Wir werden nie ankommen, aber auf dem Weg liegt das Wesentliche.

Ralph und Sabine Schmohl

Ralph und Sabine Schmohl wollten eigentlich nur für zwei Wochen nach Teneriffa fliegen. Irgendwas mit der Buchung ging aber schief, ihr Flug endete in Oktonien. Das nichtvorhandene Sportangebot ihrer Hotelanlage irritierte sie zuerst, ebenso die Tatsache, dass es gar keine Hotelanlage war. Sie wanderten von Strandbehausung zu Strandbehausung und ließen sich irgendwann irgendwo nieder. Ralphs Kompetenzen als Vertriebsleiter eines führenden Herstellers für industrielle Dichtungsringe sind hier weniger gefragt, jetzt hilft er in Sabines Poolreinigungsroboterverleih mit.

Silva Varesa

„Kat díe otre desafie“, jeden Tag eine neue Herausforderung, das ist was Silva an ihrem neuen Job gefällt. „Sinkreador“ könnte man mit „Synkreatiker:in“ übersetzen, wenn es den Job jenseits des Horizontes schon gäbe. Sie arbeitet an der emotionalen Qualität von „Okto“, dem führenden oktonischen KI-System. Als ausgebildete Sozialpsychologin arbeitet sie an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Sie schafft Verbindungen — nicht zwischen Datenpunkten, sondern zwischen Gefühlen, Erwartungen und Technik.

Silva kann hören, was sich technisch nicht erfassen lässt. Sie spürt, wenn der Ton eines Dialogs nicht stimmt, wenn Worte zwar korrekt, aber irgendwie unpassend wirken. Ihre Aufgabe ist es, hier bildhaft gesprochen, den inneren Klang der Maschine zu stimmen, sodass sie nicht nur reagiert, sondern mitschwingt. Genau dieses Bildhafte, das beginnt, wo Worte enden, ist ihr Metier.

„Kompono le animo de IA“, sie komponiere Atmosphären. Andere nennen es Empathie-Design. Für sie ist es das, was Oktonien ausmacht: die Fähigkeit, Technik in das Leben einzubetten — so, dass sie dem Einzelnen und der Gemeinschaft dient, ohne zum Selbstzweck zu werden.

Xavior Leodalio

„Man kann sie ja nicht aufhalten, die neuen Technologien. Sie klopfen nicht höflich an und fragen, ob sie reinkommen dürfen“, sagt Xavior vom Institut de Evaluakton de Empakta de Tecnologon, dem oktischen Institut für Technologiefolgenabschätzung. „Sie sind dann einfach da.“

Xavior nimmt seinen Retinaprojektor von der Stirn und schaut mich ernst an:

„Wir machen uns heute Gedanken darüber, wie sich die Technologie von übermorgen auf die oktonische Gesellschaft auswirken wird. Wie reagieren wir in der Pädagogik darauf? Wie können wir die negativen Folgen abmildern und das Potenzial für die Gesellschaft nutzen? Wir legen besonderen Wert auf die soziale Verträglichkeit. Fördert eine Technologie den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Dient sie einer pluralistischen Gesellschaft oder fragmentiert sie eher? Wir machen uns Gedanken über regulatorische Eingriffe, bevor wir etwas Neues ausrollen.“

Ich erwähne, dass mir der Technologiegebrauch der Oktonier durchaus willkürlich erscheint. Er antwortet:

„Das ist ja auch so gewollt. Nehmen wir das Automobil. Uns war klar – auch aus der Beobachtung der Restwelt –, dass diese Technologie Städte zerstören, Gesellschaften trennen und die Umwelt verwüsten würde, die Leute aber Autos mögen. Also haben wir einfach darauf verzichtet, Verkehrsregeln einzuführen oder die Stadtplanung darauf einzustellen.“

Zum Abschluss frage ich ihn, woran er gerade arbeite. Er lächelt kurz:

„An der permanenten Immersion in virtuelle Welten.“

Dann setzt er sich den Retinaprojektor wieder auf:

„Diese Geräte können, wenn sie falsch eingesetzt werden, das wichtigste Gut, das wir haben, bedrohen: das Miteinander. Darum schauen wir sehr genau hin, in welcher Form wir diese Geräte in unserer Gesellschaft sinnvoll einsetzen können. Das können wir nicht dem Zufall überlassen.“

Xavo Arnandes

Xavo ist stolz auf seinen Merikrisma-Baum, den er sich hat drucken lassen. Balén versteht zwar nicht ganz, warum man einen bunt behängten Baum in die Bude stellen sollte, freut sich aber für Xavo. Der kleinen Anhalina ist das egal, sie möchte lieber wissen, was in dem Päckchen unter dem Baum ist.